"Nicht zum ersten Male sah ich die stolzen Felsengipfel im Inneren des Karwendel. Vor manchen Jahren schon hatte eine vergnügte Herbstferienreise mich in die Täler der Riß geführt, durch das Johannestal über die Hochalpe hinunter zum Karwendelbache, nach Scharnitz hinaus - und weiter...
Wie staunend hatte ich damals emporgeblickt zu den starren Felswänden und ihren Gipfelzinnen, wie übergewaltig muteten sie mich an und mochten doch nicht mich herausfordern, den rätselhaften Zauber mir in der Nähe zu betrachten... - wer weiß, ob überhaupt man dort hinaufkommt, - auf viele sicherlich nicht!"
(Aus den Nördlichen Kalkalpen, Die Falken in der Riß)
Erkundigungen bei Schafhirten ergeben, dass möglicherweise schon Edelweißsucher auf dem Lalider Falken waren, der Rißer Falk jedoch viel zu rund sei, als dass man ihn ersteigen könnte.
"...ich fühlte mich durch die in Aussicht gestellte Unmöglichkeit nicht sonderlich beunruhigt; hielt es jedoch für besser, erst eine Rekognoszierung des angeblich Unerreichbaren vorzunehmen..."
Hermann von Barth quartierte sich in Hinterriß ein und besuchte zunächst die Grabenkarspitze und das Gamsjoch, um die Falken von westlicher und östlicher Seite ins Visier zu nehmen.
"In den Mittags- und Nachmittagsstunden dieses Tages erstieg ich das Gamsjoch, saß auf seinem Gipfel eine Stunde lang im dicksten Nebel und kehrte unverrichteter Dinge wieder zurück; die beabsichtigte Rekognoszierung der Falken war gänzlich missglückt."
Am 30.06.1870 stieg Hermann von Barth vom Steinfalk (Südliche Falkenspitze) aus auf den Laliderer Falk (Östlicher Falk). Am Folgetag gelang ihm die Erstbesteigung des Rißer Falken (Westlicher Falk).
Nur 80 Höhenmeter trennen den Laliderer Falken vom Steinfalk, zum Rißer Falken fehlen 66 Höhenmeter. Diese dürften es laut Beschreibung von Barths jedoch in sich haben. Die Begehung ist selbstverständlich nicht zur Nachahmung empfohlen.
"Ich begann den Abstieg ins Blausteigkar unmittelbar von der Nordecke des Grates weg durch eine - anscheinend kurze und gut gangbare - Plattenrinne, hatte aber mehr als eine halbe Stunde Arbeit in derselben, mit Händen und eisenbewaffneten Sohlen gegen die glatte Wand gesperrt, bis ich die Schuttfelder des Kars erreichte. Diese wurden in gerader Linie gegen Osten überquert."
Hermann von Barth wählt die rechte Anstiegsroute und trifft auf etliche Schwierigkeiten wie einem riesigen Block, der oben am Grat umgangen werden muss. Er wechselt in die Ostseite ca. 1300 Meter
ausgesetzt über dem Lalider Tal und findet dort eine begehbare Rinne, die jedoch am Ausgang durch einen Felsblock versperrt ist. Alternativ bleibt nur eine steile Spalte mit glattem Fels, in der
ein Ausrutschen den Sturz in die Tiefe des Tals zur Folge hätte.
Nach Überschreiten des Verbindungsgrates schreckt Hermann von Barth nichtsahnend ein Gamsrudel mit 15-20 Tieren auf. Die Gämsen springen nach links in Richtung Johannestal, sind plötzlich am Ostfuß des Rißer Falken und kurz darauf am Gipfel zu sehen. Er folgt den Gämsen in westlicher Richtung, steigt etwa 150 Höhenmeter ab und findet eine Rinne, die in einem Kamin zum Gipfel führt. Freilich hat er Bedenken, dass die "Gazellen der Alpen" den scheinbar einzigen Fluchtweg nehmen und in der Rinne entgegen springen. Die Gämsen hatten sich jedoch schon längst auf der anderen Seite ins Falkenkar abgesetzt.
Auf dem Rißer Falk hinterlässt Hermann von Barth in einstündiger Arbeit einen riesigen vom Rißtal aus sichtbaren Steinmann als Beweis für den erfolgreichen Gipfelbesuch, da das Erklimmen dieses blanken Felskegels allgemein für unmöglich galt.
"Wer damals prophezeit hätte, dass ich dereinst auf jenen schroffen Zinnen stehen, von ihnen niederblicken würde in die Täler und weit hinaus ins heimatliche Land, im Glanze himmelblauer Tage wie in Sturm und Wettergraus von Grat zu Grat, von Spitze zu Spitze klettern würde und dort oben mich erinnern an verwichene Zeit!"